Verfasst von: Edwin Platt | 4. März 2011

Zweifler willkommen, die Thomas-Messe


Von Edwin Platt

Bremen Mitte. Werner Zippel aus Schwachhausen kommt fast zu spät. Die ersten Worte der Thomasmesse hört er nicht. Ohne Aufhebens setzt er sich an den Rand der Bank, nachdem er stehend, ein stilles Gebet sprach oder innehielt. Der Gesang aus vielen Stimmen von den Bänken gegenüber klingt herüber. Das Tageslicht durch die bunten Fenster wird milde. Die hängenden Messingleuchter strahlen und blitzen im weiten Raum des Doms. Werner Zippel kommt ohne Zweifel in die Thomasmesse. „Doch ja, Zweifel die kenne ich schon.“

Aber irgendwann verliert man sie wohl, scheint es, wenn man Werner Zippel zuhört. Von 57 seiner Mitschüler, die mit sechzehn Jahren in den Krieg zogen, kamen sieben zurück, darunter Werner Zippel. Sein Elternhaus gab es nicht mehr, seine Eltern hat er wiedergefunden.Bläser am Bremer Dom

Eine Verbindung zur Kirche gab es früh in seinem Leben, denn er pumpte bereits für den Vater am Blasebalg der Orgel, damals als kleiner Junge. Nach dem Krieg arbeitete er in der Landwirtschaft in den Bergen des Allgäus. „Da lernte ich einen katholischen Pastor kennen, der vorher Mönch gewesen war. Der sprach bei der Beerdigung meines Arbeitgebers, eines richtigen Fürsten, der mit dem Wagen einen Abhang hinab gestürzt und dabei gestorben ist. Viele Gespräche haben wir geführt. Da war ich so zwanzig. Auch über die Erschießungen von Geiseln, die ich ansehen musste, haben wir gesprochen.“

Werner Zippel lebt seit 55 Jahren mit seiner Frau zusammen. Gemeinsam haben sie zwei Kinder und einige Enkel. Die Familie hält zusammen. Er studierte Landwirtschaft und hat später mit den ersten Lochkartensystemen für Mannesmann gearbeitet. Studierte dann Volkswirtschaft und ist ein paar Mal in Deutschland umgezogen. Zuletzt nachdem er mit 70 aufgehört hatte zu arbeiten nach Bremen. Für sein erfülltes Leben ist er dankbar, aber

„Die Angst bringt die Zweifel.“ sagt der gepflegte Senior, dem man es gut abnehmen würde, wenn er sich nicht um Glauben und Kirche kümmern würde.

Doch da ist die andere Seite. Die Angst kam 1985 mit seiner Krebserkrankung, vor fünf Jahren mit einem Herzinfarkt, vor zwei Jahren mit einem Tumor im Kopf seiner Frau und letztes Jahr mit dem zweiten Herzinfarkt. Auch das Aneurysma an seiner Bauchaorta war lebensbedrohlich, als es bei einer Rückfahrt von griechischen Freunden aus dem fernen Land diagnostiziert wurde.

„Ein Leben nach dem Tod gibt es. Alles ist Energie, und wenn wir sterben, geht es weiter, in anderer Form.“ sagt Werner Zippel. Und auf die Frage ob er seiner Frau nach dem Tod wieder begegnen wird sagt er. „Ja. Aber es wird ganz anders sein.“ Am Ausgang kommt Frau Zippel auf ihn zu und antwortet auf meine Frage: „Nein, ich habe keine Zweifel.“ Und ich denke wie viel Zweifeln gehören wohl dazu, um so gewiss antworten zu können.

Der Abendgottesdienst, also die Thomas-Messe, ist am Palmsonntag ist im Bremer Dom wie in vielen Kirchen Europas den Zweifeln gewidmet. Motto in St. Petri war: die Ruhe vor dem Sturm. 20 bis 30 Freiwillige haben sich zusammengefunden um die Thomasmesse im St. Petri Dom mit Pastorin Ingrid Witte zu gestalten.  Die Ursprünge der neuzeitlichen Thomasmesse sind in Helsinki an einem Aprilsonntag um 18 Uhr im Jahre 1988 in der Agricola Hauptkirche zu finden. Wo der seit sieben Jahren mit christlichen Frühstücken in Restaurants experimentierende Olli Valtonen und Kiikka Ruokanen der nach neuen Jugendgottesdienstformen suchte sich zusammengetan haben. Beide litten unter den sehr geringen Besucherzahlen der Gottesdienste in Helsinki und sie beschäftigten sich mit den Zweifeln, um die es in einer Bibelgeschichte um den Jünger Thomas (Johannes 20, 24-29) geht. Zur ersten Thomasmesse in Helsinki kamen zu ihrer Freude 800 Besucher. Seither kommen dort oft eintausend Besucher in das Gotteshaus. Die modernisierte Gottesdienstform der Thomas-Messe fand schnell in ganz Europa Nachahmer. Die wichtigsten Punkte der Thomas-Messe sind: der Beteiligung der Besucher möglichst viel Raum zu geben, die persönliche Beichte einzubeziehen, den Fürbitten teil in Form von Seelsorgegesprächen und Meditationsgebeten zu gestalten, Musik auf modernen Instrumenten und in moderner Form zu spielen und letztlich das Abendmahl als wichtigsten Teil der Messe zu gestalten.

Einige Hundert Besucher hatten sich aufgemacht in den Dom und habe zusammen ihre Thomas-Messe gefeiert. Die Zweifler unter ihnen waren beim Kommen nicht erkennbar. Beim Gehen gaben sie wie Werner Zippel, einige ihrer Euros für Haiti und den Kampf dort gegen die Verzweiflung an dem zerstörten Ort. Die letzte Kollekte brachte einige Hundert Euro für den Verein Refugio der Flüchtlingen hilft. Auch in ihnen werden Zweifel und Verzweiflung wohnen.


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